TSV Detag Wernberg – Leichtathletik

Karina Maier beim OCC des UTMB super in Form

Beim Ultra-Trail du Mont-Blanc, dem europaweit wichtigsten Rennen in der Trailszene, stand Karina Maier dieses Jahr erneut an der Startlinie des OCC. Hier ihr Bericht zu ihrem wichtigsten Rennen der Saison, bei dem sie erneut eine beeindruckende Leistung abgeliefert hat.

Schon 2 Tage nach meinem Zieleinlauf 2024 war klar, ich will im kommenden Jahr zurück – und mit 2 Losen hat das sogar völlig problemlos geklappt. Wir starten die Woche so traumhaft schön wie letztes Jahr. Sommer, Sonne. Die Wettervorhersage für den Lauf jedoch so schlecht, wie bei bisher noch keinem meiner bisherigen Rennen: Dauerregen, Warnung vor Überschwemmungen und Erdrutschen. 48 Stunden vorher kommt die Info, dass die Pflichtausrüstung um wasserdichte Handschuhe und Regenhose erweitert wird.

Am nächsten Tag stehe ich pünktlich um 9:30 Uhr im Decathlon und hoffe, dass mir die anderen 1600 Starter nicht zuvorkommen. Als ganze LKW- Ladungen voll Regenkleidung in das Geschäft getragen werden, weiß ich, die Angst war unbegründet. 18 Stunden vor dem Start wird die nächste Sicherheitsmaßnahme verkündet: Streckenänderung. 4 km mehr, dafür 100 Höhenmeter weniger. Mein gehasster Berg am Ende wurde gestrichen, dafür geht es ab Argentiere wellig bis nach Chamonix. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, spielt mir das sehr in die Karten. Die Busse fahren exakt 2 h später an den üblichen Haltestellen ab.

Der Morgen startet mit dem versprochenen Dauerregen. Die Berge komplett in den Wolken, aber wenigstens ist es mit 14 Grad nicht sonderlich kalt. 6:50 Uhr stehe ich an der Bushaltestelle. 7:02 Uhr Abfahrt. Aber: Ich bin allein. Erste Zweifel. Bushaltestelle falsch? Unwahrscheinlich, das Schild ist eindeutig. Falsche Uhrzeit? Ebenso.. mehrfach nachgelesen. Notfallplan? Keiner. Hilft nur warten.

10 Minuten später sind wir immerhin schon zu Zweit und so warte ich gemeinsam mit einem Koreaner. 15 Minuten…, 20 Minuten…, 30 Minuten. Wir überlegen uns Alternativen, um sie sofort wieder zu verwerfen. Mit einer Verspätung von 40 Minuten werden wir nun endlich erlöst. Nun dürfen wir knapp 1 1/2 h nochmal abschalten, runterkommen, dem Sonnenschein vom letzten Jahr hinterher weinen und beten, dass es weniger schlimm wird, als erwartet. Ich habe das Glück und sitze neben einem Schweden. Er lebt in Göteborg und gemeinsam schwärmen wir vom diesjährigen schwedischen Traumsommer während wir durch den tiefsten Nebel fahren. Die letzten Minuten im Bus werde ich dann doch etwas unruhig. 40 Minuten verspätete Abfahrt bedeutet auch 40 Minuten spätere Ankunft in Osieres. Damit bleibt mir eine halbe Stunde, auf die ein 10 minütiger Fußweg fällt. Die restlichen Minuten gehen fürs Umziehen und den Rucksack-Check drauf. Mein letzter bescheidener Wunsch, dass es wenigstens bis zum Start trocken bleibt, erfüllt sich immerhin.

Zwei Drittel der Strecke kenne ich und weiß daher ein wenig besser, was mich erwartet und wie ich mir das Rennen einteile. Vor allem die Downhills will ich etwas disziplinierter angehen und hoffe, dass die Oberschenkelmuskulatur dadurch ein wenig länger schmerzfrei bleibt. Bergläufe habe ich auch diesmal wieder nicht in den Beinen. Lediglich zwei Trailläufe mit 800 Höhenmetern im Juni. Aber immerhin.

Wenige Minuten vorm Start dann wieder Gänsehaut und emotionales Chaos. Mit „What a wonderful world“ stimmen sie uns ein und da treibt es nicht nur mir das Wasser in die Augen. Chamonix hat eben auch dieses Jahr wieder mehr mit im Kopf und im Herzen, als 61 Kilometer und 3400 Höhenmeter. Die letzten Minuten brechen an und damit der Moment, in dem es immer sehr still wird in der Menge. Das Publikum zählt runter, dann geht es los. Pünktlich um 10:15 Uhr schicken sie uns mit der ersten Welle auf die Strecke. Die Stimmung der Zuschauer ist wieder einmalig, trotz des Wetters. Ganze Kindergartengruppen stehen am Rand, jubeln und feuern uns an, Kuhglocken mehrere Kilometer lang, mehrfach höre ich meinen Namen, es gleicht einer Volksfeststimmung.

Es folgen ein paar wenige Kilometer durch den Ort, dann kommt der erste Anstieg bis Champex-Lac. Nachdem ich schon letztes Jahr gefühlt zu schnell gestartet bin, laufe ich dieses Jahr noch schneller los. Klappt ja “perfekt” mit meinen guten Vorsätzen. Aber am ersten Anstieg wird man durch die Menge sowieso ausgebremst. Erst nach 7 Kilometern wird es besser. Wir erreichen den See und damit die erste Zwischenzeit und Verpflegungspunkt 1. Bei 15 Grad und Regen geht’s für mich im Laufschritt einmal vom Eingang zum Ausgang. 1 l Wasser im Rucksack ist Pflicht, davon hab ich vor einer halben Stunde die Hälfte in die Wiese gekippt. Die anderen 500 ml reichen bis ins Ziel.

Weiter geht’s am See entlang, ein kurzer Anstieg und danach, durch die geänderte Strecke, 1000 Höhenmeter bergab bis nach Martigny. Downhills sind leider immer noch nicht meine Stärke und da meine Oberschenkelmuskeln langes Bergablaufen nicht wirklich kennen, gehe ich es behutsam an – und der Plan geht tatsächlich auf. Als ich in Martigny ankomme, fühlen sich die Beine immer noch richtig gut an und mir geht’s deutlich besser als letztes Jahr.


Es folgt Verpflegung 2. Alle bleiben stehen und füllen Flaschen auf. Gut für mich, die sind nun alle hinter mir. Der neue Kurs bringt anschließend einen langen Anstieg mit sich. Über 800 Höhenmeter bis Trient, Zeitmessung und von dort gleich nochmal über 800 Höhenmeter bis zum Col del Balme. Viele lange Läufe in diesem Jahr, 3 Wochen Radfahren im August in Schweden – die Grundlagenausdauer passt, dadurch komme ich die Berge gut hoch. Besser als viele andere, einen Platz nach dem Anderen mache ich gut.


Bei den Zwischenzeiten bekomme ich per Handy meine Platzierungen mitgeteilt und so kann ich die gutgemachten Frauenränge mitzählen. Irgendwie stimmt’s am Ende aber trotzdem immer nicht.
An 4-5 Konkurrentinnen laufe ich vorbei, in der Platzierung rutsche ich aber jedesmal um die 8-10 Plätze nach vorne. Wo diese Frauen zwischen den Checkpoints verschwinden, ist und bleibt mir ein Rätsel.

Nach der Hälfte des Berges erreichen wir Trient und damit Verpflegung 3. Dann schnappe ich mir eben doch mal etwas Schokolade und ein Stückchen Riegel – schließlich hab ich ja dafür bezahlt. Schnell wieder raus und weiter. Nochmal über 800 Höhenmeter auf 5 km, dann hab ich mit 2195 m den Col del Balme, erreicht und damit auch den höchsten Punkt. Je höher wir kommen, desto dichter werden die Wolken und die Sicht wird zunehmend schlechter. Kurz vorm Gipfel frischt nun auch der Wind auf.

Sofort kühlt man aus und friert. Grund genug, der Verpflegungsstelle wenig Aufmerksamkeit zu schenken, außerdem möchte ich den langen Downhill bis Argentiere hinter mich bringen. Der war letztes Jahr schon ein Graus. Schöner ist er auch dieses Jahr nicht. Dennoch, ich komme besser ins Tal als 2024, auch wenn die Oberschenkel nun doch langsam anfangen zu schmerzen.


Im Ort angekommen stehen noch 12 Restkilometer auf der Uhr. Einmal kurz in die Kamera winken, lächeln, ein Schluck Cola und nun, laut Höhenprofil der Veranstalter, leicht wellig bis Chamonix. Kinderspiel! Aber wie so oft, das Kinderspiel gibt es nur in der Theorie. Nach 2 Kilometern werden aus den Wellen steile Rampen, aus dem schönen Weg ein Pfad mit Steinen und Wurzeln, kurz vor Chamonix, als belohnender Abschluss, noch ein längerer, steiler Anstieg mit einem unschönen Downhill im Anschluss. Da mir die Oberschenkel mittlerweile egal sind, versuche ich, es einfach laufen zu lassen. Aber das können die anderen einfach deutlich besser. 2 Frauenplätze mache ich dennoch nochmal gut, den einen aber auch nur, weil eine Frau schon 5 Kilometer vorm Ziel heult wie ein Schlosshund. Ob aus Erleichterung oder vor Erschöpfung, weiß keiner.

Wenigstens die letzten 3 Kilometer bis zum lang herbeigesehnten blauen Teppich sind flach und ich komme mit einem Schnitt von unter 5 min/km tatsächlich nochmal in den Flow. Den Rest kenne ich nun. Vorbei an den Tennisplätzen, an den Ständen der Expo, einmal über die Brücke, rein in die Fußgängerzone, vorbei am Restaurant und dann sehe ich auch schon Anna. Sie reicht mir ihre Hand und gemeinsam genießen wir auf den letzten 300 m bis zum Ziel den Beifall des Publikums. Mutterseelenallein dürfen wird dieses Jahr durch die Zielschneise laufen. Die Magie und die Atmosphäre in dieser Stadt – einfach gigantisch.

Nach 7 Stunden, 5 Minuten und 14 Sekunden stoppt schließlich die Uhr. Und dann stehe ich da – in diesem Ziel, von dem so viele träumen – mit meiner Tochter in den Armen. “Mama! Ich bin so stolz auf dich!!“ In diesem Moment fällt jede Anspannung, jede Last der letzten Stunden von mir ab – die Tränen kommen ganz von allein.

60 km | 3400 Hm | 7:05:14 h (Knapp 1 Stunde schneller als im letzten Jahr). 1568 Starter-/innen aus aller Welt, die Weltspitze des Trailrunnings am Start und ich wieder mittendrin.

🇩🇪 3. Deutsche Frau
🏅 9. von 91 in meiner AK
💪🏼 42. von 500 Frauen
🌍 152. von 1568 Startern

Auch wenn mein Papa an der Ziellinie fehlt – ich bin unfassbar dankbar.

Für meinen Körper, für meinen Kopf, für alle, die mich vor Ort und aus der Ferne unterstützt, angefeuert, verfolgt und sich mit mir gefreut haben. Für die neuen Erfahrungen, die unvergesslichen Momente und die tollen Menschen, die man hier immer wieder trifft.

Genau DAS ist Chamonix. Dieses überwältigende Gefühl, diese schier unbeschreibliche Atmosphäre, dieses Privileg, diesen Zieleinlauf erleben zu dürfen. Es ist Glück, es ist Stolz – und es ist vor allem der Zauber, der nichts an seiner Magie verliert – auch beim zweiten Mal nicht.

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